Das ist es also: Das Pocophone F1 von Xiaomi. Ich konnte es die letzten sechs Wochen ausgiebig testen. bild: watson
Bereits Ende August präsentierte Xiaomi das Pocophone F1, doch kaum jemand kennt die preiswerte Alternative zu Apple, Samsung oder Huawei. Zu Unrecht, wie unser Testbericht zeigt.
Wenn mich jemand fragt, ob ich ein gutes und nicht zu teures Smartphone empfehlen könne, habe ich seit ein paar Wochen einen heissen Tipp: «Schau dir mal das Pocophone F1 an.»
«Poco was?»
Pocophone ist die neue Günstig-Marke von Xiaomi. Migros hat M-Budget – und Xiaomi hat nun eben Pocophone. Die Chinesen preisen das Pocophone F1 als «Master Of Speed» zum Tiefpreis an. Ein sehr schneller Prozessor, grosser Akku und 64 GB Speicher für 350 Franken sind in der Tat eine klare Kampfansage. Das F1 ist quasi der Gegenentwurf zum iPhone XS: Viel Leistung zum fairen Preis.
Der mehrwöchige Test offenbart aber auch: Beim F1 ist nicht alles Gold, was glänzt.
Xiaomi verkauft die internationale Version des Pocophones in rund 30 EU-Ländern und der Schweiz. Das F1 läuft somit problemlos in unserem Handy-Netz. bild: watson
Smartphone-Preise im Vergleich:
Die neue Marke Pocophone richtet sich an Kunden, die zwar ein sehr schnelles Smartphone wünschen, aber nicht länger bereit sind, die jährlichen Preiserhöhungen von Samsung, Huawei und Apple mitzugehen. Dafür bekommt man (fast) alles, was ein sehr gutes Handy ausmacht, muss aber auf Extras wie kabelloses Laden, Dreifach-Kamera oder Stift-Bedienung verzichten.
Ob es Sinn macht, für ein Mobiltelefon 1000 Franken oder mehr auf den Tisch zu legen, muss jeder mit sich selbst ausmachen. Wer ein sehr schnelles Smartphone mit langer Akkulaufzeit zu einem moderaten Preis sucht, darf nun gerne weiterlesen.
Das Testgerät wurde uns für die Dauer des Tests von Digitec zur Verfügung gestellt. Das Modell in Rot ist bei uns nicht oder nur sehr schwer zu bekommen. bild: xiaomi
Das Pocophone hat ein 6,18 Zoll grosses, gestochen scharfes Full-HD-Display (416 ppi). Das Gerät ist relativ breit und daher für kleine Hände nicht ideal. Etwas gespart hat Xiaomi bei der Rückseite aus Kunststoff, die weniger fragil als Glas und weniger rutschig als Aluminium ist, dafür nicht ganz so edel aussieht. Damit meine ich auf keinen Fall, dass es billig wirkt.
Für kleine Hände ist das Pocophone vermutlich zu breit (und ja, ich blende die Notch im Alltag aus). bild: watson
Der neuste Prozessor und 6 GB RAM: Wer auf einem Pocophone F1 die neusten Games spielen möchte, wird keine Probleme haben.
Definitiv nicht gespart hat Xiaomi bei der Geschwindigkeit. Die Chinesen nutzen für ihr Günstig-Smartphone den selben Snapdragon-845-Prozessor, der sonst nur in den aktuellen Spitzengeräten von 2018 zu finden ist. Kurz gesagt: Das F1 mit 6 GB Arbeitsspeicher (RAM) ist ideal für Gamer und im Alltag genau so schnell wie doppelt oder dreifach so teure Handys.
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Ich habe das Pocophone sechs Wochen im Alltag genutzt und mit dem brandneuen Huawei Mate 20 Pro (1000 Franken), dem sechs Monate alten Huawei P20 Pro (aktuell 650 Franken) und dem gut ein Jahr alten Galaxy Note 8 (aktuell 650 Franken) verglichen: Bei der Performance hält das 350-Franken-Handy mit den teureren Modellen problemlos mit, dafür muss man bei der Kamera kleine Abstriche machen. Dazu später mehr.
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Die Notch lässt sich in den Einstellungen ausblenden. bild: watson
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Der Einschaltknopf und die Volumen-Tasten befinden sich wie bei fast allen Android-Smartphones auf der rechten Seite. bild: watson
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Ich hätte schwören können, die Rückseite sei aus Alu, denn das Pocophone F1 fühlt sich keineswegs wie ein günstiges Kunststoff-Handy an. Tatsächlich aber ist die Rückseite bei meinem Testgerät aus mattem Plastik.
Das hat gleich mehrere Vorteile: Es ist rutschfest und auf dem Kunststoff (Polycarbonat), der sich wie Metall anfühlt, sind weder Staub noch Fettflecken zu erkennen. Im Gegensatz zu Glas ist Kunststoff bruchsicher und das Handy braucht für guten Empfang keine Antennenstreifen am Rahmen.
Nach sechs Wochen im Alltag (ohne Schutzhülle) sind keine Kratzer sichtbar. bild: watson
Der Touchscreen ist hell, aber nicht übermässig hell. Im direkten Sonnenlicht kann es daher schwierig werden, auf dem Display zu lesen. bild: watson
Das LC-Display im Pocophone hält mit dem weit teureren Top-Smartphone von Huawei (OLED-Display) gut mit. bild: watson
Für mich und wohl alle anderen Ottonormalverbraucher ist das Display mit einer Auflösung von 1080 Mal 2246 Bildpunkten (Full-HD+) mehr als ausreichend, da der Unterschied zu noch höher aufgelösten Bildschirmen abseits von VR-Anwendungen mit dem blossen Auge kaum auszumachen ist. Viel wichtiger ist der Kontrast und die Farbdarstellung und in beiden Kategorien überzeugt das Handy.
In der Preiskategorie von 350 bis 400 Franken dürfte es aktuell schwierig sein, eine signifikant bessere Kamera zu finden. bild: watson
Wie die meisten aktuellen Top-Smartphones kommt auch das Pocophone mit einer Dual-Kamera auf der Rückseite. Die Hauptkamera schiesst bei gutem Licht sehr anständige Handy-Fotos mit 12 Megapixel.
Die zweite Kamera hat einen 5-MP-Sensor und eine andere Blende, was bei Porträt-Fotos die Tiefenunschärfe (verschwommener Hintergrund) verbessern soll.
Leider klappt das nur bedingt und der Porträtmodus kann im besten Fall als mässig bezeichnet werden. Gesichter werden teils derart weichgezeichnet, dass es grotesk wirkt.
Die optische Bildstabilisierung für verwacklungsfreie Fotos hat sich Xiaomi gespart, ebenfalls fehlt ein optischer Zoom, wie er in absoluten Spitzenmodellen inzwischen Standard ist.
Kurz gesagt: Die Kamera ist zwar für den moderaten Preis des Pocophones sehr gut, hat aber gegen die Top-Modelle von Huawei (P20 Pro, Mate 20 Pro), Apple (iPhone XS) und Samsung (Galaxy S9, Note 9) keinen Stich – von Googles «Nacht-Kamera» im Pixel 3 ganz zu schweigen. Die weit teureren Rivalen knipsen insbesondere bei schlechtem Licht weit bessere Fotos und bieten eine grössere Auswahl an Aufnahme-Modi.
Trotz der Schwächen gilt: In der Preiskategorie von 350 bis 400 Franken dürfte es aktuell schwierig sein, eine signifikant bessere Kamera zu finden. Wer sowieso fast nur bei Tageslicht fotografiert, kann sehr gut mit der Pocophone-Kamera leben. Und wer noch mehr rausholen will, installiert sich Googles Kamera-App auf dem Pocophone.
Die 20-Megapixel-Frontkamera hat wie die Hauptkamera einen Porträt-Modus, der Fotos mit Tiefenschärfe-Effekt (Bokeh) erlaubt. bild: xiaomi
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Während teurere Smartphones mit (unnötigen) Extras wie Superzeitlupe (960 Bilder pro Sekunde) Eindruck schinden, gibt sich das F1 bescheidener (240 Bilder pro Sekunde). Zwar sind Videos mit bis zu 4K-Auflösung möglich, die Bildstabilisierung kann aber ebenfalls nicht mit den absoluten Top-Smartphones mithalten.
Auch hier gilt: Wer nicht gerade ein ambitionierter Hobby-Filmer ist, sollte sich von der nicht überragenden Videoqualität nicht abschrecken lassen. Für ein kurzes Ferien-Video reicht das Gebotene allemal.
Beim USB-Anschluss handelt es sich zwar um einen modernen USB-C-Port, im F1 überträgt er Daten aber nur über den vergleichsweise langsamen 2.0-Standard. bild: watson
Der USB-C-Anschluss im Pocophone ist natürlich massiv schneller als die früheren micro-USB-Ports, aber Xiaomi hat auch hier ein wenig gespart und nicht die allerneuste Technik verbaut. Die Datenübertragung an einen PC ist somit etwas langsamer als bei einigen teureren Android-Smartphones.
Auch damit dürften sich die allermeisten Nutzer gut abfinden können. Für die Mehrheit ist im Alltag weit wichtiger: Der Kopfhörer-Anschluss ist weiterhin vorhanden und der interne Speicher lässt sich per microSD-Karte erweitern.
Wie bei fast allen modernen Smartphones ist der Akku nicht mehr selbst wechselbar. bild: youtube / marques brownlee
Selbst für ein 6,18 Zoll grosses Full-HD-Display ist der Akku mit 4000 mAh gut bemessen. bild: watson
Gut, aber keineswegs rekordverdächtig ist die Schnelllade-Funktion, die gemessen folgende Werte liefert:
Zum Vergleich: Beim Huawei Mate 9 von 2016 mit dem exakt gleich grossen Akku (4000 mAh) steht die Akkuanzeige nach 30 Minuten bei 57 Prozent. Die neueren Handys von Huawei lassen sich gar noch schneller laden, hier hinkt das Pocophone also deutlich hinterher.
Regen kann dem F1 nichts anhaben, aber tauchen gehen sollte es nicht. bild: watson
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Das F1 hat wahlweise 64 oder 128 GB Speicherplatz, der sich per microSD-Karte erweitern lässt. In einigen Märkten gibt es auch ein Modell mit 8 GB RAM und 256 GB Speicher. bild: watson
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Vorinstalliert sind wie immer Googles Standard-Apps wie Chrome, YouTube, Fotos, Kalender etc. Dazu kommen Microsofts Office-Apps sowie Xiaomis eigene Apps wie Video, Musik, Browser, Fotos und Nachrichten. Einige dieser Apps kann man löschen, andere nur vom Startbildschirm entfernen.
Während die Apps von Google und Microsoft für viele Nutzer nützlich sein dürften, bergen die Apps von Xiaomi eine unschöne Überraschung.
Die vorinstallierten Apps nerven mit penetranter Werbung. Dies lässt sich zum Glück deaktivieren. screenshot: watson
Auf dem Pocophone sind relativ viele System- und Bloatware-Apps vorinstalliert, die teils mehrmals am Tag nervige Werbung aufs Handy senden. So zeigen die vorinstallierten Apps «Musik» und «Video» regelmässig Werbung für neue Songs, Videos etc. in den Benachrichtigungen an. Die Werbespam-Apps können nicht einfach gelöscht werden, vielmehr muss man ihnen in den System-Einstellungen die Erlaubnis für Benachrichtigungen entziehen.
Ein fehlendes Zertifikat beim Pocophone beschränkt die maximale Auflösung bei einigen Streaming-Anbietern auf Standard-Qualität (SD). bild: watson
Wer oft Netflix oder Amazon Video auf dem Pocophone schaut, wird sich wundern, warum Serien in 4K oder HD auf dem Pocophone nur in SD-Qualität abgespielt werden. Das liegt offenbar an einer fehlenden Zertifizierung (Widevine L1) des Smartphones, welche die maximale Auflösung bei einigen Streaming-Anbietern auf Standard-Qualität (SD) beschränkt.
Im Klartext heisst dies, dass Videos von Netflix und einigen anderen Streamingdiensten trotz Full-HD-Display nicht in HD-Qualität abgespielt werden können. Xiaomi musste dafür viel Kritik einstecken und arbeitet offenbar daran, die fehlende HD-Unterstützung für Netflix und Co. nachzuliefern.
Wie gross das Problem effektiv ist, dürfte sehr individuell wahrgenommen werden, da auf einem kleinen Handy-Display der Unterschied zwischen HD- und SD-Qualität weit weniger sichtbar ist als auf einem grossen TV-Bildschirm. YouTube-Nutzer sind übrigens fein raus, sie können auf dem Pocophone Videos auch in 4K streamen.
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Käufer eines Pocophones haben zwei grosse Betriebssystem-Updates garantiert. Xiaomi versorgt seine Top-Smartphones darüber hinaus bis zu fünf Jahre mit Updates. Dabei muss man aber zwischen Android und der Xiaomi-eigenen Benutzeroberfläche MIUI unterscheiden. Das heisst, auch wenn das Pocophone nach Android 10 keine weitere Betriebssystem-Version erhalten sollte, wird das Handy voraussichtlich weiter mit neuen MIUI-Updates bzw. neuen Funktionen versorgt werden.
Auf dem Pocophone läuft Xiaomis Benutzeroberfläche MIUI in der Version 9.6. Das Update auf MIUI 10 soll diese Woche folgen. bild: watson
Wer nicht auf den iOS-Look steht, kann mit einem Wisch nach oben die Android-typische App-Auswahl aufrufen. Der Poco-Launcher sortiert Apps automatisch nach Kategorien, den Icon-Farben oder alphabetisch (siehe Gif). gif: watson
Persönlich finde ich die neue Benutzeroberfläche für das Pocophone gelungen. Die Xiaomi-eigene Benutzeroberfläche läuft butterweich und wirkt wie ein Mix aus Android und iOS. Ob man das mag, ist Geschmacksache. Auf jeden Fall sollten Android- und iPhone-Nutzer so gleichermassen schnell mit dem Pocophone klarkommen.
Xiaomis eigene Systemoberfläche hat den Nachteil, dass es auch mal länger dauern kann, bis Android-Updates eintreffen. Umgekehrt ist Xiaomi dafür bekannt, seine Top-Modelle über mehrere Jahre mit MIUI-Updates zu versorgen. Ob das auch für das Pocophone gilt, muss die Zukunft zeigen.
Xiaomis Poco-Launcher gibt es im Play Store.
bild: watson
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Der Fingerabdruck-Leser liegt auf der Rückseite unterhalb der Dual-Kamera. Er ist gut zu erreichen, aber für meinen Geschmack einen Tick zu nah an der Linse.
Das Handy erkennt dank Sensoren, wenn man es hochhebt, aktiviert die Gesichtserkennung und meldet den Nutzer an (ohne dass man einen Button drücken oder auf das Display tippen muss). bild: watson
Neben der Front-Kamera findet sich ein Infrarot-Sensor, der zur Entsperrung per Gesichtserkennung genutzt wird. Diese Entsperrmethode ist extrem schnell und hat bei mir fast immer und aus unterschiedlichen Winkeln funktioniert. Ob mit oder ohne Brille bzw. ob im Dunkeln oder bei Tageslicht spielt dabei keine Rolle. Ganz am Anfang hatte die Gesichtserkennung im Freien zwei, drei Mal Probleme, später sind mir keine Probleme mehr aufgefallen.
Wichtig: Um die Gesichtserkennung nutzen zu können, muss man etwas tricksen und die Landeseinstellung auf Indien, Hongkong etc. ändern. Offenbar hat Xiaomi diese Funktion bei uns offiziell noch nicht aktiviert.
Dieser doppelte Schutz macht zum Beispiel Sinn, wenn andere das Handy zwar nutzen dürfen, aber private Nachrichten, Fotos etc. nicht sehen sollen. bild: watson
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Leider nein. Das preislich attraktive Pocophone F1 ist zwar im Alltag gleich schnell wie die Spitzengeräte der Konkurrenz und die Akkulaufzeit ist ebenfalls erstklassig. Mit den doppelt oder drei Mal so teuren Geräten von Samsung, Huawei und Apple kann es aber nicht in allen Belangen mithalten.
Dies sollte einen aber nur stören, wenn man unbedingt die bestmögliche Smartphone-Kamera möchte oder so gar nicht über die im folgenden zusammengefassten (kleinen) Kritikpunkte hinwegsehen kann. Alle anderen können bedenkenlos zugreifen und erhalten das Smartphone mit dem aktuell vielleicht besten Preis-Leistungs-Verhältnis.
«The Truth About the Pocophone F1!» von Marques Brownlee. Video: YouTube/Marques Brownlee
Hierzulande ist Xiaomi – weltweit der viertgrösste Smartphone-Hersteller – nur eine kleine Nummer. Dies liegt aber keineswegs an der mangelnden Qualität. Im Gegenteil: Xiaomi hat das Image des schamlosen Kopierers längst abgestreift und überzeugt seit Jahren mit innovativen Ideen und einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis.
In China gestartet, erobert Xiaomi langsam aber sicher auch Indien und Russland. Seit Kurzem sind die Chinesen auch in Europa aktiv. Somit müssen Schweizer Kunden auch nicht mehr befürchten, dass Xiaomi-Geräte im lokalen 4G-Netz nicht die optimale Geschwindigkeit erreichen, was bei früheren Import-Geräten der Fall sein konnte.
Das Pocophone F1 mit 64 bzw. 128 GB Speicher gibt es bei uns aktuell ab 350 bzw. ab 390 Franken. Die im folgenden aufgeführten Mittelklasse-Smartphones anderer Marken sind teils etwas langsamer oder haben weniger Speicherplatz, kosten aber dennoch ungefähr gleich viel.
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Aufgenommen diese Woche im Manor. bild: watson
bild: xiaomi
Hinweis: Das Testgerät wurde uns für die Dauer des Tests von Digitec zur Verfügung gestellt.
Video: watson/Knackeboul, Lya Saxer